Alcovit N° 449

Lohnt es sich, Kälber früh abzusetzen?

Der Deckungsbeitrag je Kuh und Jahr ist etwa zu 15% vom Kälberverkauf abhängig. Kälberverluste von durchschnittlich 10%, führen somit unmittelbar zu finanziellen Verlusten. Hinzu kommen die nur schwer zu ermittelnden Einbußen durch Wachstumsdepressionen kranker und kümmernder Kälber, die später ihr Leistungsmaximum nicht erreichen und daher in Statistiken meist unberücksichtigt bleiben. Vor dem Hintergrund, dass die meisten Totalausfälle während der Tränkephase auftreten, geht ein Lösungsansatz in die Richtung, eben diese Phase auf das absolute Minimum zu beschränken. Dabei hoffen viele auch auf beträchtliche Einsparungen beim Milchaustauscher. Aber stimmt das so?

Im Laufe der Aufzucht soll das Kalb vom Milchverwerter zum Wiederkäuer heranreifen, das bedeutet die Verlagerung der Verdauung vom Labmagen zum Pansen, und damit die Umstellung von einer enzymatischen Verdauung (vorwiegend Pepsin und Lab) auf eine mikrobielle (Pansenmikroben). In den ersten vier Lebenswochen sollte also noch Kasein vermehrt als Eiweißträger in der Tränke vorhanden sein um Verdauungsstörungen vorzubeugen.

Gleich bei Beginn der Anfütterung muss dem Kalb sauberes Wasser zur Verfügung stehen um seinen Flüssigkeitsbedarf zu decken. Nur so können Gärungsprozesse in Gang kommen. Durstige Kälber fressen nur schlecht und weisen eine verzögerte Entwicklung auf. Die Beobachtung, dass Kälber nach der ersten Wasseraufnahme an der Selbsttränke mit Durchfall reagieren, basiert meist darauf, dass die Tiere schon Durst hatten und daher zuviel Wasser aufnehmen. Ähnliche Auswirkungen kann auch eine zu geringe Temperatur des Wassers haben. Ein Vorratsbehälter kann hier Abhilfe schaffen.

Damit eine Reduzierung der Tränkeperiode auf nur 4-6 Wochen gelingt, muss bereits ab der 2. Lebenswoche Rauhfutter zur freien Aufnahme angeboten werden. Gleichzeitig kann mit der Gabe von Kraftfutter begonnen werden. In den ersten Tagen fressen die Tiere nur etwa 50 bis 100 g täglich, dann aber steigt die Aufnahme schnell an. Anfallende Futterreste müssen regelmäßig entfernt werden, um Durchfällen vorzubeugen. Kraftfutter in Flockenform sind Kraftfuttern in pelletierter Form eindeutig vorzuziehen, da hier ein stärkerer Reiz auf die Pansenwand ausgeübt wird, das Zottenwachstum angeregt und eine Übersäuerung nicht so leicht eintritt. Die ideale Ergänzung in der Tränkephase besteht aus 70% floconiertem Kraftfutter und 30% Heu. Ab der der 8. Woche nehmen Kälber bei  Gabe einer TMR zuwenig Futter auf. Eine zusätzliche Kraftfuttergabe ist weiterhin erforderlich. Durch separate Zufütterung von bis zu 1,5 Kg Kraftfutter je Tag können Tageszunahmen zwischen 800g-1000g erreicht werden. Wird die TMR der hochleistenden Milchkühe auch für die Kälber verwendet, darf der Kupfergehalt nicht höher als 17 mg Cu/KgTM liegen. Erst ab einem Lebendgewicht von etwa 125 Kg sollten Kälber mit einer TMR ohne zusätzliches Kraftfutter weiter gefüttert werden.

Entscheidend für das frühe Absetzen ist, dass die Kälber früh die nächste Entwicklungsstufe erreichen und Ihr Wachstumspotential voll ausschöpfen können. Tageszunahmen von 1,2% des Lebendgewichts sind anzustreben. Ein 50 Kg Kalb müsste also täglich 600 g zunehmen. Als Mindestgewicht beim frühen Absetzen gelten 70 Kg. Damit dies in der kurzen Zeit erreicht werden kann, reichen 2x täglich 2 Liter Milchaustauscher nicht aus. Am zuverlässigsten kann die Tränkemenge durch eine Steigerung der Tränkehäufigkeit gesteigert werden. So kann auch bei geringerer Menge je Gabe eine höhere Tagesdosis und damit höhere Zunahmen erreicht werden. Versuche zeigten, dass dies auch für Kälber gilt, die in den ersten beiden Lebenswochen an Durchfall erkrankten. Dieses schnellere Wachstum sorgt in der Folge für eine frühere und höhere Kraftfutteraufnahme, was den Vorsprung weiter ausbaut. Hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit des frühen Absetzens zeigt sich hier aber, dass die Ersparnis beim Milchaustauscher durch höhere Aufwendungen beim Kraftfutter weitgehend wieder geschluckt wird. Die Vorteile des Verfahrens liegen somit nicht primär bei den Futterkosten, sondern vielmehr im Aufzuchterfolg. Zeit ist auch hier Geld. Zudem treten Durchfälle weniger häufig auf.

Die Frage ob Vollmilch oder Milchaustauscher besser geeignet sind wird immer wieder diskutiert. Vom betriebswirtschaftlichen Standpunkt aus ist die Produktion von Milch für Futterzwecke nicht sinnvoll, da zu teuer. Dies trifft selbstverständlich nicht für ohnehin anfallende Übermengen zu. Jahrelange Selektion in Richtung höherer Inhaltstoffe haben allerdings dazu geführt, dass Vollmilch leicht zu Verdauungsproblemen führen kann. Hier kann durch entsprechende Zusätze eine bessere Verwertung der Inhaltsstoffe erreicht werden. Antibiotika-belastete Milch eignet sich nicht zur Verfütterung, weil dadurch die Darmflora irritiert wird, und die Verdauung darunter leidet. Auch die Entstehung Antibiotika-resistenter Keime wird entscheidend begünstigt.

Moderne Milchaustauscher bieten eine optimale Anpassung der Inhaltsstoffe an die Bedürfnisse des Tieres, sowie eine einfache Handhabung bei niedrigen Aufzuchtkosten. Die Entscheidung über das Tränkeverfahren ist stets einzelbetrieblich unter Berücksichtigung der speziellen Gegebenheiten zu fällen.

Das Absetzen der Tränke richtet sich nach der erreichten Kraftfutteraufnahme und Lebendgewicht. Hier gibt es große Unterschiede. Im Alter von vier Wochen nehmen einige Tiere bereits 400g Kraftfutter auf, andere noch keines. Zu schnelles Abtränken führt bei diesen Tieren zu Wachstumsdepressionen. Bei einer einwöchigen Abtränkphase steigt die Kraftfutteraufnahme zwar analog zur Reduktion der Tränke, doch ist die mikrobielle Verdauung noch nicht ausreichend ausgeprägt. Rascher Tränkeentzug bei hohen Kraftfutteraufnahmen führt zu Übersäuerung und Durchfällen. Auch hier eignen sich Kraftfutter in Flockenform um dem entgegenzuwirken. Besser also eine etwa 2-3-wöchige Abtränkphase damit sich die Tiere entsprechend umgewöhnen können. Wichtig ist auch, dass Kraftfutter immer leicht erreichbar und sauber angeboten wird.

Fazit: Wer ausschließlich auf eine Ersparnis an Milchaustauscher durch die verkürzte Tränkedauer setzt, kommt in der Regel nicht auf seine Kosten, weil höhere und frühere Kraftfutteraufnahme dies kompensieren. Verdauungsphysiologisch aber ist eine von Anfang an auf die Umstellung auf mikrobielle Verdauung ausgerichtete Fütterung von Vorteil, weil sie die Aufzuchtphase insgesamt verkürzt, zu besser entwickelten und frohwüchsigen Tieren führt. Das höhere Leistungspotential dieser Tiere ist das eigentliche Kapital, das es zu sichern gilt.

Dazu müssen durch häufigeres Tränken von Anfang an höhere Tageszunahmen erreicht werden, damit die Tiere beim Frühabsetzen ausreichend entwickelt sind und genügend Kraftfutter aufnehmen. Ein Lebendgewicht von etwa 70 Kg kann als Maßstab gelten. Bei entsprechender Fütterungshygiene können zudem Durchfälle reduziert werden. Kraftfutter muss frühzeitig stets gut erreichbar angeboten werden. Am besten geeignet ist floconierter Kälberstarter wegen seiner Strukturwirkung.


 

 

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