Alcovit N° 450
Stallbau aktuell:
Der Selektions- und Behandlungsbereich
Von Armin Fuchs:
Im Milchviehbetrieb müssen regelmäßig verschiedenste termingebundene Sonderarbeiten an den Tieren durchgeführt werden. Für Blutentnahmen, Trächtigkeitsuntersuchungen, Impfungen usw. müssen die Tiere zurück- und festgehalten werden. Im traditionellen Boxenlaufstall werden diese Arbeiten im Fang-Fressgitter erledigt. Jeder der das schon einmal gemacht hat weiß, dass das nicht nur aufwendig, schwierig und mitunter unfallträchtig ist, sondern dass es auch eine hohe Stressbelastung für
Tier und Mensch bedeutet.
Moderne Milchviehställe bieten den Tieren einen großen Komfort, verbunden mit einer Bewegungsfreiheit die es in den Anbindeställen früherer Tage nicht gegeben hat. Zwischen Mensch und Tier besteht im Boxenlaufstall nur noch beim Melken und bei Servicearbeiten Kontakt. Im Roboterbetrieb wird dies sogar noch weiter reduziert.
55% der Unfälle im Laufstall bei Servicearbeiten
Eine Untersuchung der Unfallursachen in der Landwirtschaft aus Deutschland zeigt, dass 55% der Unfälle in Laufställen beim Treiben, Behandeln, Pflegen, Fangen, Festhalten und Sortieren geschehen. Ein Grund sich einmal anzuschauen, wie diese Arbeiten auch im Hinblick auf mögliche Arbeits- und Kostenersparnisse baulich besser organisiert werden können.
Ein Ansatzpunkt bietet dabei die Optimierung des Kuhverkehrs. Was heute in einem Stall mit Roboter Standard ist, gilt für den Stall mit konventioneller Melktechnik noch nicht immer. Auch dort muss versucht werden, dass die Kühe mit minimalem (Personal-) Aufwand zum Melken und wieder zurück in den Liege- und Fressbereich gelangen. Dies erfordert gesonderte Gänge, einen Vorwarteraum vor dem Melkstand oder Melkkarussell, einen Nachwarteraum, der einen schnellen Gruppenwechsel ermöglicht, und eine automatisierte Selektionseinheit, die das Aussondern einzelner Kühe aus der Gruppe vereinfacht.
Alternative zum Fangfressgitter: Behandlungsstraße
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Planungsbeispiel für einen an den Melkstandrücktrieb angegliederten Separations- und Behandlungsbereich (Quelle: Agro-Projekt, www.agro-projekt.lu) |
Hier kann auch eine sogenannte Behandlungsstraße nach amerikanischem Vorbild eingebaut werden. Dieser Gruppenuntersuchungs- und Behandlungsstand (GUB) ist ein eigenständiger Funktionsbereich, in dem rund 70% der Servicearbeiten ausgeführt werden können. Wird dieser noch mit einem Durchtreibebehandlungsstand, auch Rinderfang- und Klauenpflegeeinrichtung (RFBS) genannt, kombiniert, so kann auf das Fang-Fressgitter im Stall völlig verzichtet werden.
Beim GUB handelt es sich um eine einfache und simple Konstruktion. Er ähnelt einem einseitigen Fischgräten Melkstand ohne Grube und ohne technische Einrichtungen. Dabei muss auf den richtigen Abstand zwischen Rückenrohr und Kopfrohr geachtete werden. Die schräge Standflächenbreite muss der durchschnittlichen Rumpflänge der Kühe der Herde entsprechen.
Idealerweise führt dabei sowohl am Kopf als auch an der Rückseite der Kuh ein Arbeitsgang vorbei. Von vorne können dann im Kopf, Hals und Schulterbereich der Kuh bequem Untersuchungen und Behandlungen durchgeführt werden.
Besamung, Trächtigkeitsuntersuchung, Temperaturmessungen usw. können vom rückseitigen Arbeitsgang aus erledigt werden. Im angeschlossenen RFBS können einzelne Kühe festgehalten, behandelt und untersucht werden. Auch die Klauenpflege kann hier durchgeführt werden.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten solch eine Behandlungsstraße in den Stall zu integrieren. Die Beschickung des Gruppenuntersuchungs- und Behandlungsstandes kann z.B. direkt aus dem Rücktrieb vom Melkstand erfolgen.
Da im GUB weder Tränke- noch Fressmöglichkeit bestehen, muss die Behandlung direkt während oder nach dem Melken erfolgen. Deswegen bietet sich gerade bei größeren Herden an, dem GUB einen Sammelraum vorzuschalten.
Grundsätzlich kann der gesamte Behandlungsbereich betriebsindividuell angepasst, und so auf das zur Verfügung stehende Baufenster und an die betrieblichen Arbeitsabläufe angepasst werden. Dazu ist es auch notwendig, sich bereits in der Planungsphase Gedanken über die späteren Arbeitsabläufe und Sonderarbeiten zu machen, damit auch wirklich ein Zugewinn an Sicherheit und eine Verbesserung der Arbeitsabläufe erreicht werden kann.
60% Arbeitszeitersparnis bei termingebundenen Sonderarbeiten
Das sich dies lohnt zeigt eine Forschungsarbeit aus dem Jahre 2012: Für eine Milchviehherde mit ca. 120 Kühen werden für termingebunden Sonderarbeiten in einem Stallsys-tem (d.h. die Kühe werden dazu im Fressgitter eingefangen) rund 4,20 AKh je Kuh und Jahr benötigt. Für die gleiche Herde werden bei einem vorhandenen Spezialbereich mit Separationsbucht mit Liegeboxen, Gruppen- Untersuchungs- und Behandlungsstand und Durchtreibebehandlungsstand lediglich noch 1,70 AKh je Kuh und Jahr benötigt.
Das heißt, dass der Arbeitszeitaufwand für diese Arbeiten um rund 60 % reduziert werden kann. Bei dieser Bestandsgröße entspricht das einer Einsparung von 257 AKh pro Jahr!
Natürlich ist der Kostenaufwand für die Einrichtung eines Behandlungsbereiches höher als der Einbau von Fangfressgittern. Für einen Bestand von 120 Kühen muss für den Spezialbereich mit Separationsbucht, Gruppen Untersuchungs- und Behandlungsstand und Durchtreibebehandlungsstand mit Mehrkosten zwischen 10.000 und 35.000 Euro gerechnet werden.
Durch die eingesparte Arbeitszeit lässt sich diese Investition jedoch relativ schnell amortisieren. Ganz zu schweigen von der Verbesserung des Tierkomforts und der Herdenmanagementqualität.
Bedenkt man noch, dass so auch die Unfallgefahr im Stall erheblich reduziert werden kann, sollte ein an die Bestandsgröße angepasster Separation- und Behandlungsbereich heute in jedem Milchviehstall eingeplant werden.
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Abbildung 1:Praxisbeispiele für Durchtreibe- und Behandlungsstände mit und ohne anschließender Rinderfang- und Klauenpflegeeinrichtung. (Quelle: Duräumat) |