R4D: Milchproduktion einmal ganz anders  

Konsequente Umsetzung der Betriebssysteme

Im Rahmen des Projektes Resilience for dairy (R4D) stand im Januar dieses Jahres die Besichtigung von französischen Pilotbetrieben in der Normandie und der Bretagne an.

Resilience for dairy ist ein europäisches Projekt, welches im Austausch mit allen Akteuren des landwirtschaftlichen Sektors in 15 verschiedenen Partnerländern, Ideen und Bewirtschaftungsmethoden zusammenträgt, welche der zukünftigen landwirtschaftlichen Entwicklung im sozialen, ökologischen und ökonomischen Bereich standhalten.

Eine 12-köpfige Gruppe aus Luxemburg besichtigte vom 16. Januar bis 18. Januar vier Betriebe, die alle die Beweidung mit der Milchviehherde betreiben, jedoch unter unterschiedlichen Rahmenbedingungen und Zielsetzungen (Viehbesatz, Leistungsniveau, …). Der Januar ist zweifelsfrei nicht die optimale Zeit Weidebetriebe zu besichtigen und dennoch gab es Kühe auf der Weide zu sehen und die Informationen seitens der Landwirte bezüglich deren Milchviehmanagement machte die Reise zu einem sehr interessanten Trip mit vielfältigen Eindrücken.



Betrieb Sassel Luc, Elevages des Rives d’Or (Normandie)
Die erste Betriebsbesichtigung fand in der Normandie auf dem Hof von Luc Sassel, Elevages des Rives d’Or, statt. Seine Eltern entschieden sich im Jahr 2002 nach Frankreich auszuwandern und leiteten dort einen Betrieb mit 50 Milchkühen und 45ha Fläche.

Sehr begeistert von unserem Besuch, führte er uns ausführlich in seinen Betrieb ein. Seit 2017 ist Luc Betriebsleiter und leitet aktuell:
-    ein Team von 6 Mitarbeitern und 2 Auszubildenden,
-    eine Herde von 310 Milchkühen und 250 Rindern,
-    250 ha landwirtschaftlich nutzbare Fläche.

Erfolgreich kann man sogar sagen. Dank seiner Ausbildung mit Abschluss des Masters in „Droit und Economie agricole“ kennt er sich mit seinen Betriebszahlen sehr gut aus und setzt sich immer wieder Ziele, die es dann auch zu verfolgen gilt. Eine wichtige Stütze ist für ihn sein Wirtschaftsberater, welcher zu einer freundschaftlichen Vertrauensperson geworden ist, mit dem er seine Betriebsziele absteckt und regelmäßig (3–4mal im Jahr) kontrolliert. Seine Ziele sollen keine „reinen Lippenbekenntnisse“ bleiben und Ausreden, warum er diese nicht erreichen konnte, gibt es in Zusammenarbeit mit seinem Wirtschaftsberater nicht.

Bei der Mitarbeiterführung orientiert sich Luc in Richtung wertschätzende Zusammenarbeit und Standardisie-rung der Arbeitsabläufe. Daher frühstücken seine Mitarbeiter jeden Morgen mit ihm und seiner Familie, er bezahlt diese besser als es rein rechtlich notwendig wäre und verfasst Arbeitsprotokolle zu Routinearbeiten (Arbeitsablauf beim Melken, Umgang mit Auffälligkeiten in der Milchviehherde, Tränken der Kälber, usw.), die im Betrieb ausgehängt sind. Seine Mitarbeiter haben alle eine landwirtschaftliche Ausbildung. In Frankreich, auf jeden Fall in der Normandie und Bretagne, kommt der weitaus größte Teil der landwirtschaftlichen Auszubildenden (80% und mehr) nicht von einem landwirtschaftlichen Betrieb.
Als großer Freund der Weide, strebt er nicht die allerhöchste Milchleistung an, sondern bevorzugt die 60ha arrondierte Weidefläche mit einem Großteil seiner Kühe (Niedrigleistungs- und Mittelleistungsgruppe), nach dem Prinzip der Umtriebsweide, zu beweiden. Zusätzliche 35ha beweidet er mit seinen Rindern, ab 5 Monaten. Der jüngsten Gruppe stehen natürlich Heu und Mineralien das gesamte Jahr über zusätzlich zur Verfügung, sowie Kraftfutter im Sommer.

Der Großteil der Maschinenarbeiten ist ausgelagert; dies einerseits aus Kostengründen und andererseits, da sich Luc Sassel nicht so für den technischen Bereich begeistern kann.

Der landtechnische Bereich ist einer seiner Schwächen, wie er selbst behauptete: „Ich bin handwerklich nicht der begabteste und wüsste nicht, wer uns den ganzen Unterhalt garantieren soll“. Lucs Leidenschaft liegt ganz klar im Management einer Milchviehherde und dem Management des Mitarbeiter Staffs. Neben dem Alltag auf dem Betrieb ist Luc zudem als Beschicker von Milchviehschauen und als Richter auf nationalen und internationalen Schauen unterwegs.



Betrieb GAEC Vert du Lait, (Bretagne)
Der zweite besichtigte Betrieb, die GAEC Vert de Lait in der Bretagne, konfrontierte uns mit anderen Ansichten und Vorstellungen zum Beruf Landwirt. „[…] Wir sind eine andere Generation. Eine, die zum Teil schon bei einem Arbeitgeber gearbeitet hat, die mehr Freizeit und mehr vom Leben haben möchte. Die Rente in Frankreich ist nicht lukrativ, wieso also warten bis kein Geld mehr da ist, um etwas zu erleben […]“

Franck de Breton arbeitet zusammen mit seiner Frau und einem Teilzeit-Angestellten in der GAEC Vert de Lait. Er leitet eine Herde von 47 Milchkühen plus Nachzucht und 68ha Grünland. Er ist bewandert im Bereich Ökonomie und Technik, während seine Frau die Bereiche Umwelt und Soziales im Blick behält.

2012 haben sie in einen neuen Boxenlaufstall mit Melkstand (2x5 Fischgräten) für die Milchkühe investiert. Im Jahr 2016 wurde auf biologische Bewirtschaftungsweise umgestellt. Seitdem wird ein reines „Vollgrassystem“ im Betrieb praktiziert (in der Weidesaison Vollgrasbeweidung, ansonsten Heufütterung).

Obwohl der Boden und das Klima den Maisanbau zulassen, werden kein Mais und auch keine anderen Kulturen angebaut. Hier kommen Überlegungen im sozialen Bereich eines Betriebes zu tragen; je mehr man an Produktionsbereichen dazu nimmt, desto stärker wird man vom Know-How und der mentalen Belastung gefordert. „Man kann nicht in Allem sehr gut sein“, meint der Betriebsleiter. Besser weniger, aber dafür das, was man macht, gut machen.

Auch dieser Betrieb profitiert von seinen 68ha arrondierter Weidefläche und bevorzugt die Tiere draußen zu haben und nicht im Stall. Im Betrieb wird die Blockabkalbung im Frühjahr praktiziert: aus arbeitstechnischen und aus Kostengründen. Zehn Wochen lang wird nicht gemolken. Eine ruhigere Zeitspanne, in der man sich mehr der Familie widmen kann, wie auch anderen Interessen. Die Abkalbungen erfolgen bei ihm bewusst auf der Weide.

Während andere Betriebe immer weiterwachsen, um finanziell über die Runden zu kommen, da unter anderem die Kosten (Energie, Futter, …) immer weiter steigen, hat sich die GAEC Vert de Lait dazu entschlossen, einen anderen Weg zu gehen: wir wollen nicht abhängig sein vom internationalen Markt und den internationalen Geschehnissen; wir wollen nicht mehr arbeiten als dies jetzt der Fall ist. Deshalb müssen wir uns in ein unabhängiges Bewirtschaftungssystem begeben und die Kosten so stark wie möglich reduzieren.

Daher kein Zukauf an Futtermitteln, Dünge- und Spritzmitteln, etc. (1,30 cts Futterkosten /kg Milch). Die Milch, die ermolken wird, ist zu 100% Milch aus dem Grundfutter (4770 kg /Kuh/Jahr, Viehbesatz: 1GVE/ha, Herde besteht aus Kreuzungstieren aus 7 verschiedenen Rassen).
Daher eine Reduzierung des Anbaus von Kulturen alleine auf Grünland. Es ist kaum organischer Dünger vorhanden bei einem 10-monatigen Vollweidesystem zum Düngen anderer Kulturen.

Der Milchpreis ist im Sommer wie im Winter für den Betrieb ungefähr derselbe. Somit liegt Herr De Breton nicht falsch mit seiner Begründung, dass es bei gleichbleibendem Milchpreis für ihn keinen Sinn macht, im Winter Milch zu produzieren. Im Winter ist die Milchproduktion für den Betrieb wesentlich teurer (Winterration für laktierende Kühe füttern, Melken ist mit Energiekonsum verbunden). So war klar, zur weiteren Reduzierung der Futterkosten wird keine Milch in den teuren Wintermonaten produziert.Daraus ergab sich logischerweise das System der Blockabkalbung.  Das System des einmaligen Melkens der Kühe ergab sich nach und nach aus der Erfahrung heraus: Bei der Vorbereitung der Kühe auf die Trockenstehzeit versuchte man aufgrund der niedrigeren Milchleistung die Kühe nur noch einmal /Tag zu melken. Dies funktionierte gut, ohne größere Probleme.

Nach und nach versuchte man, die Kühe während der gesamten Laktation nur einmal zu melken. Nur zu Beginn nach der Abkalbesaison gab es Probleme mit dem Zellgehalt. Dieser wird jedoch monetär nicht so abgestraft, wie dies bei unseren Molkereien der Fall ist. Daher kann das System der „monotraite“ problemlos weiter betrieben werden.

Wer sich jetzt denkt, die Rechnung geht doch niemals auf, der irrt. Es handelt sich hierbei um ein sehr extensives, einfaches und ökonomisch durchdachtes System, von dem alle gut leben können. Und das mit weniger als 35 Stunden Arbeit pro Woche! Natürlich ist dieses System nicht überall umsetzbar. Immerhin ist es von mehreren Faktoren abhängig wie z.B. den betrieblichen Gegebenheiten, dem Milchpreis und dem Klima.

In Frankreich haben Milchviehbetriebe oft viel arrondierte Weidefläche. Diese wird auch hier im Betrieb komplett genutzt, sei es durch Beweidung oder zur Produktion von Heu für die Wintermonate. Die Fütterung von Heu in der Trockenstehzeit der Kühe reduziert auch die Arbeitserledigungskosten. Den Kühen werden Heurundballen für zwei Wochen vorgesetzt, an denen sie sich „bedienen“ können. Die Arbeitserledigungskosten zur Fütterung sind so monetär kaum zu beziffern. Die Reduzierung der Kosten erfolgt auch über die komplette Auslagerung der Maschinenarbeiten: Damit fallen keine Maschinen- und Unterhaltskosten an, kein bzw. viel weniger Kraftstoff wird verbraucht. „Quand la ferraille brille, c’est le porte-monnaie qui rouille“, so Franck Le Breton.

Alles in allem wirkt sich ihr System positiv auf die Umwelt aus, da Treibhausgase reduziert werden, sehr viel CO2 auf den Dauergrünlandflächen gespeichert wird und nur die zum ausreichenden Verdienst notwendige Herdengröße gehalten wird. Der Stall ist komplett unterbelegt. Man könnte problemlos 60 Kühe im Stall halten.



Betrieb GAEC Douillet, Val d’Izé (Bretagne)
Auch die GAEC Douillet verfolgt die Strategie von weniger als 35 Arbeitsstunden pro Woche, damit ausreichend Zeit für Familie und Hobbys bleibt. Zusammen mit seinem Vater und einem Arbeiter bewirtschaftet Romain eine Herde mit 112 Milchkühen (Holstein x Norwegische Rotbunte) und 121 ha Fläche. Abkalbungen finden das ganze Jahr über statt. Um seine Kosten zu verringern, hat er die Jungviehaufzucht ausgelagert. Er verkauft die weiblichen Kälber im Alter von 3 Monaten an seinen Bio-Kooperationsbetrieb, welcher als Rinderaufzuchtbetrieb ca. 250 Rinder aufzieht.

Er kauft die trächtigen Färsen kurz vor der Kalbung wieder zurück, aber nur so viele, wie er braucht.

Die GAEC Douillet kombiniert Weidegang und Melkroboter. Die arrondierten Weideflächen sind in Tag- (3 Uhr-15 Uhr) und Nachtparzellen (15 Uhr-3 Uhr) aufgeteilt. Fütterungs-
technisch erhalten die Milchkühe Weidegras, Heu oder Heulage, sowie Pellets aus Lieschkolbenschrot, Pellets aus der gesamten Maispflanze und Pellets aus Weidegras. Die Pellets stellen das Lockfutter im Melkroboter dar, was erklärt, wie er die Kühe dazu bewegen kann, in den Melkroboter zu gehen. Er verbraucht ca. 450kg Konzentrat (Pellets) pro Kuh pro Jahr.

Die Pellets werden aus betriebseigenem Futter (Mais und Gras) gewonnen, welches von einer Firma in der Nähe zu Pellets verarbeitet wird. Seine Maschinenarbeiten sind ebenfalls größtenteils ausgelagert. Sein letztes Projekt, in welches er noch investieren möchte, ist ein sogenannter Boviduc, eine Unterführung für die Kühe, damit er die Parzellen auf der anderen Straßenseite ebenfalls beweiden kann.

Auch seine Rechnung geht auf. Er profitiert von seinen Gegebenheiten und hat sein System daran angepasst.



Landwirtschaftsschule Domaine de Merval (Normandie)
Zu guter Letzt besichtigten wir noch das Domaine de Merval. Hierbei handelt es sich um eine landwirtschaftliche Schule mit Milchviehbetrieb (100% Normande-Kühe), Käse- und Calvadosproduktion unter dem Namen Neufchâtel. Unter der Leitung von Bertrand Cailly, aktueller Direktor, wird der Betrieb mit Hilfe von 9 weiteren Mitarbeitern rentabel bewirtschaftet. Ihr Schwerpunkt liegt ebenfalls auf der Umtriebsweide und der Agroforestry. In dieser kombinieren sie die Weideparzellen mit ihrer Obstplantage. Zwischen 2 Reihen mit Apfelbäumen, für die Produktion von Cidre und Calvados, steht eine Reihe mit einem Mix aus Bäumen, welche über eine längere Periode den Nektar für die Bienen liefern sollen. Damit keine zusätzlichen Handmäharbeiten auf den Parzellen anfallen, haben sie sich ein durchdachtes Zaunsystem errichtet, um die gepflanzten Bäume zu schützen und dennoch abweiden zu können.

Alles in allem haben wir sehr unterschiedliche Betriebssysteme gesehen, die alle finanziell durchkalkuliert waren und auf dem jeweiligen Standort funktionierten. Natürlich kann man diese Bewirtschaftungssysteme nicht einfach so in Luxemburg umsetzen, da es auf die Rahmenbedingungen (ha Futterfläche, Kosten Pachtflächen, Klima, Boden, …) ankommt und letztendlich auch auf die persönliche Einstellung und Zielsetzung.

Nichtsdestotrotz haben uns die Betriebsbesichtigungen gezeigt, wie eine konsequente Umsetzung von Betriebszielen funktioniert. Das Ziel ist der Weg, egal, was der Nachbar macht. Es gibt Lösungen für Schwierigkeiten, man muss sie aber auch umsetzen. Die Betriebslösungen werden für die Zeit getroffen, in denen der oder die Betriebsleiter im Betrieb aktiv sind, nicht für die Nachkommen.

Für weiterführende Informationen zu allen Pilotbetrieben (Farm Finder) und zum R4D-Projekt, besichtigen Sie die Webseite: resilience4dairy.eu